„Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut" von Ole Nymoen & Wolfgang M. Schmitt
Ein Kinderbuch? Vielleicht. Eine scharfsinnige Kapitalismuskritik? Definitiv. Ja, das Buch kommt mit seiner Optik, Sprache und einfachen Verständlichkeit daher wie ein typisches Kinderbuch. Die Hauptfiguren sind Kinder, die in ihren Abenteuern die Widersprüche der Erwachsenenwelt entlarven. Das Muster ist bekannt: Die Königin der Insel ‚Feudalia‘ befiehlt ihren Untertanen, die Lebensweise der Nachbarinsel ‚Capitalia‘ zu übernehmen – denn angeblich wird dann alles besser. Aber z.B.: Jahrhundertelang sammelten die Menschen ihr Brennholz in einem Wald, der allen gehörte – plötzlich soll das Diebstahl sein. Und Brot wird ‚erschwinglicher‘, indem das Mehl mit Fremdstoffen gestreckt wird, ja selbst in den Kinderspielen gewinnen die, die sich die teureren Spielzeuge leisten können. Nachtigall, ick hör’ dir trapsen.
Aber wer sich schon immer mal an einer Einführung in sozialistische Theorie versucht hat und dann gleich von 'Wertform' und 'Mehrwert' erschlagen wurde, für die oder den könnte dieses Buch ein überraschend guter Einstieg sein. Ganz ohne trockene Theorie, dafür mit erzählerischem Witz, werden zentrale Strukturen unserer heutigen Gesellschaft so greifbar dargestellt, dass auch Marx-Neulinge auf ihre Kosten kommen.
Für Vorlesende, deren Zuhörer:innen aus der Grüffelo-Phase herausgewachsen sind und die mal etwas anderes als Lindgren, Preußler, Funke oder Kästner hören möchten – aber bitte nicht Bibi & Tina – ist das Buch eine echte Empfehlung. Klar, die Hürde, sich als Erwachsene:r ein vermeintliches Kinderbuch vorzunehmen, ist da. Aber wer sie überwindet, wird mit kluger Gesellschaftskritik belohnt.
Dass die Kinder Karl und Rosa heißen, ist natürlich kein Zufall. Und wenn der alte Fischer auch Karl heißt, dann wissen wir, woher der Wind weht. Doch warum sollte nicht gerade ein kluges, rebellisches Mädchen, das die Probleme erkennt und handelt, Rosa heißen? Und wenn das Buch schon die Widersprüche des Kapitalismus aus linker Perspektive erklärt, warum nicht auch gleich die Namen großer Kämpfer:innen der Arbeiter:innenbewegung einführen?
Ein besonderer Geniestreich: Die Leiterin des Arbeitshauses auf ‚Capitalia‘ trägt den Namen Raffelhäschen. Die Ähnlichkeit zum Freiburger Finanzprofessor Bernd Raffelhüschen, der als neoliberaler Dauertalker unermüdlich für private Rentensysteme und haushaltsgerechte ‚Sparmaßnahmen‘ predigt, ist sicher kein Zufall. Im Buch ist Raffelhüschen die naive, raffgierige Verwalterin einer Zwangsarbeitsanstalt – eine gleichermaßen unsubtile wie köstliche Ironie.
Überhaupt gelingen den Autoren grandiose Seitenhiebe auf die Hofschranzen des Kapitals, egal ob damit die Presse oder die herrschende ökonomische Lehre gemeint sind, die entweder aus schierer Käuflichkeit oder aus intellektueller Schlichtheit die Dogmen der Märkte als unumstößliche Wahrheiten nachplappern. Auch Menschen, die sehr wohl erkennen, wie übel ihnen mitgespielt wird, sich aber trotzdem fügen, und natürlich auch die Aufseher aus den eigenen Reihen, die selbst ausgebeutet werden, aber nach unten treten – weil „es sonst ja sowieso andere machen“ begegnen uns.
Dass das Buch nicht auch noch den Feudalismus als dunkles Zeitalter durchdekliniert, ist vielleicht sogar ein Vorteil. Wohltuend auch, dass die Kinder am Ende nicht die ganze Welt retten müssen. Und jede Wette: Nach diesem Buch könnt ihr mal testen, wer den 'Juggernaut' besser erklären kann – Ihr oder ein altgedienter Kapitalversteher-Veteran, der seit 30 Jahren mit Band 1 auf dem Nachttisch schläft.
Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt - vielen bekannt als Betreiber des Podcasts „Wohlstand für Alle“, Buchautoren, Filmkritiker, etc. - ist mit den Kleinen Holzdieben ein Überraschungspaket gelungen.