Politischer Frühschoppen: Corona - Auswirkungen und Folgen

Es ist zurzeit gar nicht so einfach, politische Willensbildung zu betreiben, solange Versammlungen und Infostände nur eingeschränkt oder gar nicht möglich sind (wir berichteten). Daher probieren wir neue Formate aus, so am 5. Juli einen politischen Frühschoppen zum aktuellen Dauerthema: Corona. Das Thema bietet sich an, denn die Pandemie beeinflusst unser aller Leben, vom Beruflichen bis ins Private hinein. 

Wegen der aktuellen Lage tagten wir draußen und mit entsprechendem Abstand; wegen des Regens unter einem Pavillon. Trotz dieser Einschränkungen wurde es eine erfolgreiche Veranstaltung mit 15 Teilnehmer*innen. 

 

Als Referent*innen hatten wir Kersten Artus, ehemalige Abgeordneter der LINKEN in der Hamburgischen Bürgerschaft und Mitarbeiterin der Bremer Gesundheitssenatorin, und Deniz Celik, gesundheitspolitischer Sprecher der LINKEN in der Hamburgischen Bürgerschaft, eingeladen. 

Hierdurch ergab sich ein starker gesundheitspolitischer Schwerpunkt. Deniz Celik berichtete von den Veränderungen, die sich im neu konstituierten Senat ergaben. So wurde die Gesundheitsbehörde aufgelöst und ihre Aufgaben einerseits der Justizbehörde zugeschlagen, andererseits wurden die Gesundheitsämter in den Bezirken gestärkt (vor allem personell), da hier die konkreten Aufgaben der Behörde ausgeführt werden. So sehr die Stärkung der praktischen Seite zu begrüßen ist, bleibt abzuwarten, ob die landesweite Koordination unter neuer Regie funktionieren wird. Positiv ist hingegen die Ankündigung, pro Bezirk ein Gesundheitszentrum einzurichten, das als Anlaufstelle gerade in den Gegenden dienen soll, die ärztlich unterversorgt sind (das sind natürlich die mit einer finanziell eher schwach aufgestellten Bevölkerung). Das Personal dieser Gesundheitszentren soll auch eine Pflegekraft einschließen, die aufsuchende Aufgaben wahrnimmt, sodass sich das Angebot insgesamt niederschwellig gestaltet.

 

Auch die Probleme in den Krankenhäusern wurde selbstverständlich thematisiert: 

  • der Pflegenotstand
  • die unzureichende Bezahlung (über die ursprünglich angekündigte Prämie von 1500 Euro pro Pflegekraft breitet die Politik inzwischen diskret den Mantel des Schweigens)
  • die Überlastung wegen der durch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) initiierten Arbeitszeitverlängerung für Pflegekräfte auf 12 Stunden pro Schicht
  • die Leerstände und die Kurzarbeit in den Abteilungen, in denen keine Corona-Patienten versorgt werden
  • natürlich das Problem des neoliberalen Diktats der Gewinnmaximierung, dem das Gesundheitswesen kompromisslos unterworfen wurde. 

 

Hier wurde im Verlauf der Diskussion deutlich, dass die Rekommunalisierung der Krankenhäuser zwar ein wichtiger Schritt in Richtung einer Gesundheitspflege ist, die dem Menschen und nicht dem Profit dient, aber die Probleme allein nicht lösen wird. 

Denn das Hauptproblem (neben dem Mangel an Pflegekräften und deren adäquater Bezahlung) heißt Fallpauschale

 

Bei der Fallpauschale wird die Behandlung nach einem festen Satz abgerechnet, unabhängig von der Dauer der Behandlung oder den einzeln angewandten Maßnahmen. Diese Methode soll die Kosten des Gesundheitswesens begrenzen und die Behandlungen effizienter gestalten. Fallpauschalen werden bei Bedarf durch andere Entgelte ergänzt.  In der Praxis führt diese Abrechnungsmethode nicht nur dazu, dass kostspielige Behandlungen bevorzugt verordnet werden, auch wenn keine unbedingte medizinische Notwendigkeit bestehen mag, sondern auch zu einer schwer nachvollziehbaren, intransparenten und verquasten Abrechnung.. Dem System Fallpauschale sind nicht allein die privatisierten Krankenhäuser unterworfen, sondern auch die kommunalen, denn auch für diese gilt nicht mehr die Vorschrift der Kostendeckung, sondern ebenfalls die der Gewinnmaximierung. Daher ist die Abschaffung der Fallpauschalen vordringlich für eine umfassende Reform des Gesundheitswesens. 

 

Das neoliberale Diktat der Gewinnmaximierung bei maximaler Kostenreduktion hatte noch einen anderen Nebeneffekt, wie Kersten Artus ausführte: Die mangelhafte Vorbereitung auf den Ernstfall einer Pandemie, die auch Europa und Deutschland erreicht. Während wir von den letzten Epidemien von Sars bis Ebola bis auf wenige, leicht isolierbare Einzelfälle verschont blieben und der Ernstfall Pandemie also nicht eintrat, traf Covid19 uns nicht nur wuchtig, sondern auch unvorbereitet. Trotz anhaltender Warnungen namhafter Wissenschaftler und Institute wurde eine Vorbereitung auf den Ernstfall vermieden, da man in der Politik hoffte, das Problem Covid19 ebenso aussitzen zu können wie die anderen Epidemien zuvor, die in angenehmem Abstand zu heimischen Gefilden stattfanden. Daher gab es weder einen aktuellen, praktisch anwendbaren Notfallplan, noch einen Vorrat an einer notwendigen Basisausstattung wie Masken, Desinfektionsmittel oder Schutzkleidung. Selbst heute, wo die ganze Welt von Covid19 betroffen ist (wenn auch in unterschiedlichem Maß) fehlt es offenbar an dem Bewusstsein, dass einer Pandemie wirksam nur global begegnet werden kann. Stattdessen ergeht sich Deutschland (wie die ganze Welt) in gesundheitspolitischem Klein-Klein, bei dem man selbst über die Grenzen des eigenen Bundeslandes kaum hinausblickt. 

 

Neben den medizinischen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten der Corona-Krise gibt es natürlich auch noch die gesellschaftlichen und  menschlichen. Diese werden in der Berichterstattung oft vernachlässigt, sind jedoch kaum weniger drängend und in ihrer Konsequenz heute noch kaum absehbar. Sie spielen sich oft im Stillen ab, im Rahmen der sozialen Isolation, und sie treffen vor allem die Benachteiligten und Schwächeren unserer Gesellschaft: Finanziell schlechter Gestellte wie Transferleistungsempfänger und Minijobber, für die die Politik keine Hilfen bereitstellt, Alleinerziehende und Familien mit Kindern, die sich zwischen Homeoffice und Homeschooling aufreiben, Kinder aus finanziell benachteiligten Familien, die nicht an den Online-Angeboten ihrer Schule teilnehmen können, Betroffene häuslicher Gewalt, vereinsamende Alleinlebende und Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungen, die sich fühlen wie in Einzelhaft. Für all diese Menschen hält die Politik bisher keine Lösungen oder adäquate Hilfen bereit. Auch die Reaktionen auf Masken- oder Nicht-Masken Befürworter durch Verfechter der jeweils anderen Fraktion werden oft als überzogen und zu heftig wahrgenommen. Dies kennzeichnet auch die Diskussion über die  geltende Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften und zeigt, wie dünnhäutig wir in dieser Zeit der Coronakrise geworden sind, auch wenn wir selbst oder unsere Angehörigen und Freunde (noch) nicht von der Infektion betroffen sind. 

 

Als Fazit der Veranstaltung blieb, dass das Thema Corona zu komplex für einfache Lösungen ist und dass uns die Pandemie und ihre Nachwirkungen noch sehr lange begleiten werden.