Triggerpunkte - Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft (Steffen Mau/Thomas Lux/Linus Westheuser)

Gernot Wolter

„Die Wütenden finden sich überproportional häufig unter den Veränderungserschöpften“

Es gibt die große Spaltung nicht. So könnte man das Buch zusammenfassen. Jahrelang im politischen Feuilleton herbeigeschrieben, als Begründung von Parteispaltungen und den Erfolg der AfD herangezogen und zu versuchten Polarisierungen genutzt, war es eigentlich längst an der Zeit, der Spaltungsfrage einmal empirisch auf den Grund zu gehen. Die Autoren haben dies quantitativ und bis tief in die Corona-Pandemie hinein auch qualitativ getan. Auch wenn ich sicher noch nicht alles verstanden habe, was sich aus dieser Studie ergibt, so muss man doch sagen, dass sie nicht soweit weg von dem ist, was man jenseits des Gekreisches in sozialen, unsozialen oder alten Medien schon immer wahrnehmen konnte: Menschen passen nicht in das Schema hier der ältere, weiße, männliche Arbeitnehmer vom Lande, dem alle emanzipatorischen Bewegungen völlig fremd sind, und dort die junge, großstädtische Frau mit Lastenfahrrad, die alles Progressive wie ein Schwamm aufsaugt und radikal exklusiv vertritt. Insbesondere die Annahme, es gäbe eine ausbildungs- oder milieubedingte klare Kopplung wie „Identitätspolitik/Akademiker:innen“ und „Verteilungspolitik/Arbeiter:innen“, wird empirisch komplett zerlegt. Die Autoren:“Das Bild des diversitätsberauschten Akademikers, der kein Ohr (und kein Herz) für die einfachen Klassen hat, mag nicht so recht zu diesem Befund passen.“

Für linke Politik ist wichtig zu verstehen: ja, es gibt natürlich Konflikte um Aufmerksamkeit und Ressourcen zu vielen Fragen (Migration, Gender/sexuelle Orientierung, Reichtumsverteilung, Klimaschutz). Aber so die Autoren: „Ein großer Teil des Dissenses findet innerhalb von Klassen statt.“ Und eigentlich hätte man es schon längst wissen können, warum die Verteilungsfrage kaum noch mobilisiert oder polarisiert. Das seit den 80er Jahren tief eingesickerte – und auch schon immer von links kritisierte - neoliberale „Jede-ist-ihres-Glückes-Schmied“-Denken führt eben dazu, dass die Wahrnehmung einer verteilungspolitischen Ungerechtigkeit eben nur zu einem unspezifischen Unbehagen führt.

Und warum gibt es nun Triggerpunkte, also Themen wie Gendersternchen und Wärmepumpe, die zu einer rational kaum noch verständlichen Radikalisierung von Menschen führen? Dazu muss man vielleicht erst einmal sehen, dass es eine passive emanzipatorische Haltung bei vielen Menschen gibt, also „jede soll leben, wie es ihr passt, solange ich davon nicht beeinträchtigt werde“, was schon verdeutlicht, dass das offensive Einfordern von Rechten (Quotierungen, All-Gendertoiletten , Rechte der nächsten Generation etc.) bereits zu Konflikten führt. Und es ist eine affektive Polarisierung, also grob eine gefühlsmäßige Anknüpfung an Themen. Bei der Frage, wer für diese affektive Polarisierung zu gewinnen ist, kommt sie dann doch etwas zurück, die Klassenfrage: „Je weiter unten Menschen in der Hierarchie stehen, desto wütender und erschöpfter sind sie.“ Und desto eher sind sie für Triggerdiskussionen zu gewinnen.

Politische Schlussfolgerung? Umverteilung (auch wenn man mit dem Ruf danach kaum mobilisiert) durchsetzen, um Menschen aus der Erschöpfung herauszuholen, und unverdrossen weiter für Klimaschutz, menschenfreundliche Migration, und Emanzipation eintreten, weil es alternativlos ist.