"Gekränkte Freiheit - Aspekte des Libertären Autoritarismus" von Carolin Amlinger/Oliver Nachtwey, Suhrkamp

Gernot Wolter

Der Soziologe Oliver Nachtwey hat bereits eine wichtige gesellschaftliche Tendenz in seinem Buch „Die Abstiegsgesellschaft“ analysiert: Der von Ulrich Beck beschriebene Fahrstuhleffekt ist am Ende. War es bisher so, dass die Ungleichheit zwar blieb, aber alle Schichten vom Wohlstandswachstum profitierten, also quasi alle gemeinsam wie in einem Fahrstuhl nach oben fuhren, so stehen die einen nun auf einer Rolltreppe nach oben und die anderen kommen ihnen auf der Rolltreppe nach unten entgegen. Enttäuschung macht sich breit: die meisten Kinder haben es nicht mehr besser als die Eltern, das Wohlstandsversprechen ist seit den 80er Jahren nach und nach zerlegt worden. Zu dieser Enttäuschung kommt jetzt auch noch eine Kränkung: der Liberalismus in seiner Form des absoluten Freiheitsversprechens ist auch am Ende. Jeder Mensch ist für sich allein zuständig und verantwortlich – dies sickerte als Glaubensbekenntnis seit der neoliberalen Wende Anfang der 80er Jahre in die Köpfe ein. Im Gegenzug ist er dann aber auch gegen gesellschaftliche Zugriffe geschützt und muss keine Rücksicht nehmen, wo es nicht selbst gewollt ist.

Anhand der Querdenker-Bewegung, die auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemiebekämpfung in ganz Deutschland zu sehen war, untersuchen Nachtwey und seine Kollegin Carolin Amlinger mit Online-Befragungen und ausführlichen Interviews vieler Einzelpersonen, warum Solidarität gegenüber vulnerablen Menschen in dieser Gruppe nicht möglich war und wie es zu der expliziten Wissenschaftsferne kam.

Die Pandemiebekämpfung – so die Analyse - lag konträr zum Freiheitsanspruch der Betroffenen und wurde als Kränkung des eigenen Selbstverständnisses empfunden. Und: „Die Kränkung ging jedoch noch weiter: der Staat, dessen Hand in den letzten Jahrzehnten vor allem für die Unterklassen spürbar war, griff plötzlich direkt in das Leben der Bürger:innen ein“.

Das Soziologen-Duo beschreibt in diesem spannenden Buch ausgehend von den Untersuchungen von Adorno/Horkheimer zum autoritären Charakter einen neuen Autoritarismus-Typ, den libertären Autoritarismus. Libertär, weil er Freiheit als Eigentum losgelöst von gesellschaftlichen Zusammenhängen betrachtet, und autoritär, weil die eigene Meinung absolut gesetzt wird.

Interessante und beunruhigende Aspekte dabei sind: a) der – teils noch aus der Romantik herrührende – Anspruch, auf verschiedene und als gleichwertig gesetzte Erkenntniswege zurückgreifen zu können, also jenseits der Wissenschaft auch auf unwissenschaftliche, beliebige oder in sich widersprüchliche Methoden und b) die Herkunft der betreffenden Befragten aus durchaus auch progressiven sozialen Bewegungen, wobei sie jetzt beliebig zwischen rechts und links schwanken und deswegen auch eine Abgrenzung nach rechts unwichtig finden.

Aber ein Kurzschluss darf hier nicht gezogen werden: die Anti-AKW-Bewegung z.B. hat Wissen demokratisiert und Gegenöffentlichkeit geschaffen. Nicht zu vergleichen mit der Querdenker-Bewegung bei der „die Demokratisierung [um]schlägt […] in eine individuelle Anmaßung von Wissen.“

Und schließlich drohen die nächsten Konflikt, denn jetzt ist schon „absehbar, dass Coronaskeptiker:innen und Verschwörungstheoretiker:innen auch Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels stärker ablehnen werden.“ Denn diese werden auch ihren Freiheitsanspruch treffen.

Was ist die Lösung? Es braucht „eine vitale Herrschaftskritik von unten, die die Realität nicht bestreitet, sondern versucht, die Verhältnisse zu verändern.“ Na dann..